Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Sängerinnen und Sänger,

 

es ist mir eine große Freude, dem Männergesangverein Herbram im Namen des Sängerkreises Paderborn-Büren zu seinem 90-jährigen

Bestehen zu gratulieren und ihm zugleich für die Zukunft Zuversicht, Durchhaltevermögen und weiterhin viel Freude am Chorgesang zu

wünschen.  Ein Vereinsjubiläum ist oft Anlass genug zur Rückschau auf seine Gründungszeit, hier das Jahr 1924: Der 1. Weltkrieg war seit 6

Jahren vorbei. Deutschland, einer der Verlierer des Krieges, befand sich immer noch in einem desolaten Zustand. Durch den Friedensvertrag

wurde unser Land gezwungen, gigantische Reparationszahlungen zu leisten sowie Heer und Marine abzurüsten und deren Stärke von einigen

Millionen auf 400.000 Mann zu verringern. Die Folgen waren Ruin der Wirtschaft, Inflation und Arbeitslosigkeit. Nach der Abdankung des

Kaisers und der übrigen 22 deutschen Monarchen bei Kriegsende hatte sich die junge Weimarer Republik bis 1924 mit 5 Regierungswechseln,

mit Generalstreiks, Putschversuchen und Revolutionen in den einzelnen deutschen Ländern, sowie mit bürgerkriegsähnlichen

Straßenkämpfen der extremen rechten und linken Parteien herumzuschlagen. Die Reichswehr mit ihrem vorwiegend adeligem

Offizierskorps, das der Monarchie nachtrauerte, gehorchte nicht den schwachen bürgerlichen Regierungen, die auch ohnmächtig zusehen

mussten, wie belgische und französische Truppen Teile des Rheinlandes besetzten, um Industrieanlagen zu demontieren und die Bürger

„auszusiedeln“, weil die vereinbarten Reparationsleistungen von Deutschland nicht mehr termingerecht erbracht werden konnten.

Mit einem Wort, es waren schlechte und unsichere Zeiten, in denen es an allem fehlte, und jeder um das nackte Überleben kämpfen musste.

Und dennoch fanden sich unter den Herbramer Männern, die Krieg und Nachkriegswirren überlebt hatten, 24 Idealisten, die auf Anregung

des Pfarrvikars Lüdorf einen Männerchor unter Leitung des Dorfschullehrers Franz Prott gründeten, um sich und anderen eine Freude mit

ihrem gemeinsamen Chorgesang zu bereiten. Nach dem Ende des 2. Weltkrieges wiederholte sich gewissermaßen diese

Erstgründungsgeschichte: Deutschland hatte als abermaliger Kriegsverlierer umfangreiche Reparationszahlungen zu leisten,  ein viertel

seines  Territoriums an Polen, die Tschechoslowakei und die SU abzutreten, 13 Millionen Vertriebene aufzunehmen und 7 Millionen

Kriegstote zu beklagen. Immerhin hatte es 1948 in den 3 Westzonen eine Währungsreform gegeben; durch Einführung der D-Mark durch

die Westalliierten wurden wenigstens der inflationäre Schwarzmarkt und die sogenannte „Zigarettenwährung“ abgeschafft. 1 Jahr später

erfolgte  durch die Gründung zweier unabhängiger deutscher Staaten, nämlich der BRD und der DDR, ein erster Schritt zur Wiedererlangung

der staatlichen Souveränität, aber damit wurde auch die Spaltung Deutschlands und Europas zementiert. Zugleich endeten die Nürnberger

Prozesse der Alliierten gegen deutsche Kriegsverbrecher, die Demontagen von Industrieanlagen und Eisenbahngleisen durch die

Siegermächte hörten  auf, und deren Kontrollen der Kohle- und Stahlproduktion des Ruhrgebietes wurden gelockert. Mit anderen Worten:

Die politische und wirtschaftliche Lage ähnelte 1949 der Situation von 1924, war aber wegen des unfassbaren Ausmaßes der Zerstörungen

ungleich prekärer. Ab Beginn des 2. Weltkrieges und in den ersten Nachkriegsjahren waren auf deutschem Boden praktisch keine

Vereinsaktivitäten mehr möglich gewesen. Mithin konnte in Deutschland auch erst Ende der 40er Jahre wieder an die Tradition des

gemeinsamen Gesanges angeknüpft werden - von den wenigen Männern, die Krieg, Gefangenschaft und Vertreibung überlebt hatten.

Im hiesigen MGV haben wir aus dieser Epoche 3 Zeitzeugen, die vor 65 Jahren, d.h. 1949, unter schwierigsten Bedingungen ihre aktive

chorische Arbeit aufgenommen und bis heute durchgehalten haben. Es sind die Sangesbrüder Werner Hochstein, Josef Meyer und Wilhelm

Stute, die anlässlich des 90. Stiftungsfestes des Männergesangvereins Herbram für 65 Jahre Singen im Chor mit Urkunde, Anstecknadel und

Verdienstplakette in Gold des Chorverbandes NRW geehrt werden. Unter dem Dirigat des Dorfschulleiters Albert Thiele blühte damals der

Männerchor wieder auf und wurde für viele Jahrzehnte der Kulturträger und Bewahrer des deutschen Liedgutes in diesem Dorf – und die

3 soeben genannten Sangesbrüder haben durch ihr Engagement und ihr vorbildliches Verhalten in diesem Gesangverein wichtige Beiträge

dazu geleistet. Durch Einbringen ihrer individuellen Fähigkeiten und Möglichkeiten haben sie nicht nur wichtige Ämter im Verein

übernommen, sondern auch dem Chor unschätzbare Dienste bei seinen Proben und Auftritten sowie bei seiner materiellen Ausstattung

und bei internen Veranstaltungen geleistet. Und schließlich stehen die 3 Jubilare mit ihrem Alter von mehr als 80 bzw. 90 Jahren für Mut,

Beharrlichkeit und Idealismus, d.h. für Tugenden, mit denen man auch in schwierigen Situationen und Zeiten die gesteckten Ziele erreichen

kann.Namens des Sängerkreises Paderborn-Büren gratuliere ich Euch, liebe Sangesbrüder Werner, Josef und Wilhelm, recht herzlich zu

Eurer seltenen Auszeichnung durch den CV NRW und beglückwünsche zugleich den Männergesangverein Herbram, dass er solche

beispielgebenden Mitglieder in seiner aktiven Sängerschaft vorzuweisen hat. Ich bitte nun die 3 Jubilare zu mir zu kommen, um Urkunden,

Plaketten und Anstecknadeln entgegenzunehmen. Schließlich fordere ich den Vorsitzenden des Herbramer Männerchores, Reinhard Meyer,

auf gleichfalls hierher zu kommen, und das nicht nur für ein Gruppenfoto mit den 3 Jubilaren. Vielmehr habe ich die Freude, ihn für 25 Jahre

erfolgreiche Vorstandsarbeit mit Urkunde, Anstecknadel und Verdienstplakette in Silber des Chorverbandes Nordrhein-Westfalen zu ehren.

Damit tritt er in die Fußstapfen seines Vaters Josef Meyer, der auf mehrere Jahrzehnte Vorstandstätigkeit im hiesigen MGV zurückblicken

kann und Ehrenvorsitzender des Vereins ist.  Lieber Reinhard, im Namen des SK Paderborn-Büren beglückwünsche ich Dich zu dieser

besonderen Auszeichnung und wünsche Dir - gerade in dieser für Männerchöre im allgemeinen und für den MGV Herbram im besonderen

schwierigen Zeit - bei Deiner ehrenamtlichen Arbeit Durchhaltevermögen und Erfolg sowie weiterhin viel Freude beim Chorgesang.

 

 

Herbram im Juli 2014,

Dr. Ulrich Flechtner

Kreisvorsitzender Sängerkreis Paderborn-Büren